Monday 4 February 2008

PerpetuitasSermonis1

Mir ist oft, ehe ich gestorben wurde und ehe ich zu den Toten kam, unverständlich gewesen, wie Sklaverei möglich sein kann, wie Militärdienst möglich sein kann, wie es möglich ist, daß Menschen, gesunde und vernünftige Menschen, sich ohne Protest vor Kanonen und Kartätschen jagen lassen, daß Menschen nicht tausendmal lieber Selbstmord begehen, als Sklaverei, Militärdienst, Galeerenketten und Peitschenhiebe zu ertragen. Seit ich bei den Toten war, seit ich selbst ein Toter bin, seit ich ein Totenschiff fuhr, ist auch dieses Geheimnis für mich gelöst, wie sich ja alle Geheimnisse erst nach dem Tode offenbaren. So tief kann kein Mensch sinken, als daß er nicht immer noch tiefer sinken könnte, so Schweres kann kein Mensch erdulden, als daß er nicht noch Schwereres ertragen könnte. Hier ist es, wo der Geist des Menschen, der ihn angeblich über das Tier erhebt, ihn tief unter das Tier erniedrigt. [...] Ich habe Dutzende von Tieren gesehen, die sich hinlegten, wenn sie überladen waren, die sich hinlegten, wenn sie sich schlecht behandelt glaubten, und die sich klaglos hätten zu Tode peitschen lassen, als aufzustehen, die Last zu übernehmen oder die schlechte Behandlung weiter zu erdulden. [...] Aber der Mensch? Der Herr der Schöpfung? Er liebt es, Sklave zu sein, er ist stolz, Soldat sein zu dürfen und niederkartätscht zu werden, er liebt es, gepeitscht und gemartert zu werden. Warum? Weil er sich Hoffnung denken kann. Weil er hofft, daß es auch wieder bessergehen wird. Das ist sein Fluch und nie sein Segen. Mitleid mit Sklaven? Mitleid mit Soldaten und mit Soldatenkrüppeln? Haß gegen Tyrannen? Nein! Zuerst sind die Sklaven da, dann erscheint der Diktator auf der Bildfläche.

[Das Totenschiff -- B. Traven (1926)]